Vom Ammersee zum Bodensee – Mein Münchner Jakobsweg

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19.03.2016 – 9 Uhr morgens am Marienmünster in Dießen. Startpunkt. Die nächsten acht Tage werde ich über 200 km zu Fuß bis zum Bodensee pilgern. In diesem Moment ist mir noch nicht wirklich klar, was das bedeuten könnte. Ich bin gut gelaunt ob des Wetters und freue mich auf viel Zeit zum Nachdenken und Natur genießen. Die heutige Etappe führt mich über Wessobrunn nach Hohenpeißenberg.

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In Haid, kurz vor meiner Mittagspause in Wessobrunn, sehe ich dieses Schild. 2605 km bis Santiago – Motivation oder Demotivation? Ich entscheide mich für ersteres.
Ich bin recht früh in Wessobrunn, entscheide mich dort, nicht einzukehren, sondern mir statt dessen eine Bretzel beim Bäcker zu holen. Reste aus dem Kühlschrank habe ich ja auch noch dabei. Ich werde auf meiner gesamten Reise mittags nicht mehr einkehren, sondern lieber allein Brotzeit in der Natur machen.

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Der hohe Peißenberg ist sehr anstrengend, da zum einen steil und noch schneebedeckt, zum anderen habe ich zu dem Zeitpunkt bereits über 20 km in den Beinen. Dafür werde ich mit grandiosem Wetter mit Weitblick belohnt. Aufgrund meiner Muschel am Rucksack spricht mich ein anderer ehemaliger Pilger an und es entwickelt sich ein sehr nettes, kurzes Gespräch. Genauso hatte ich mir das vorgestellt!
Vom Aussichtspunkt aus geht es dann nur noch eine halbe Stunde bergab in mein erstes Domizil in Hohenpeißenberg – 31 km liegen hinter mir.

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Pilgern macht hungrig und müde. Nach dem Duschen bin ich ins nächstgelegene Lokal kurz was Essen und danach gleich ins Bett. 21 Uhr ist Schicht im Schacht.

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20.03.2016 – 9 Uhr in Hohenpeißenberg. Der Tag fängt trüb an, entwickelt sich aber bombig. Es steht eine wunderbare Wanderung durch die Ammerschlucht an. Was sagt der Körper? Nackenschmerzen vom Rucksack, leichte Knieprobleme vom Abstieg, keine Blasen. Und der Kopf? Hohe Gedankenschlagzahl an Tag 1. Der schwierige Untergrund in der Ammerschlucht zwingt mich aber zum hier und jetzt. Keine Menschenseele, die mir hilft, falls ich ausrutsche und hinfalle….

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Mittags bin ich in Rottenbuch angelangt. Ein sehr hübscher Ort mit öffentlicher Toilette. Das wird in den nächsten Tagen ein wichtiger Faktor auf meiner Wanderung 🙂
Es ist Palmsonntag, ich sehe einige Trachtler in Wildsteig, auch ein sehr hübscher Ort auf meinem Weg. Ziel ist heute die Wieskirche. Meine Unterkunft liegt direkt daneben. Als ich nach 30 km dort ankomme, bin ich verstört. Mir laufen Hundertschaften von Asiaten entgegen, die mit Bussen hergekarrt wurden. Schnell rein in die Kirche, Fotos machen, raus, Einkehr, und weiter durch Europa. Als ich später zum Abendessen gehe, sind alle schon wieder weiter und ich bin alleine im Lokal. Ich greife noch schnell meinen ersten Pilgerstempel ab und gehe schon um 19 Uhr ins Bett. Ich bin total erledigt.

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21.03.2016 – 10 Uhr in Wies. Heute starte ich später, da es laut Buch nur 20 km sein sollen. Es ist wieder morgendlich trüb, aber trocken. Nach einem sehr netten Gespräch mit meiner Herbergsmutter und einem Frühstück mit frischer Kuhmilch im Kaffee und selbst gebackenem Brot, starte ich gut gelaunt mit einer Wanderung über den Brettelweg nach Steingaden.

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Von dort geht es weiter nach Lechbruck. Zum ersten Mal verfehle ich den Weg und gehe einen ordentlichen Umweg durch Prem. Dort ist dann auch noch der weitere Weg gesperrt und ich muss nochmals einen Umweg machen. So wird aus den geplanten 20 km am Ende eine Strecke von 28 km. Zwischendrin bin ich gefrustet, ärgere mich über die Beschilderung, und über mich, am Ende komme ich aber gut und rechtzeitig in Bernbeuren an.

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Bernbeuren ist ein sehr kleiner Ort ohne Gaststätte, daher esse ich mit meinen Herbergseltern zu Abend. Sie kommt aus Passau, spricht also meinen Dialekt, und ist hart aber herzlich; er ist einheimischer Allgäuer und sehr lieb. Wir hatten ein gutes Gespräch am Abend und ich bin wieder früh ins Bett. Nicht ohne vorher bei schlechtem Mobilfunknetz (Dauerzustand) meiner Schwester noch nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren!

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22.03.2016 – 9 Uhr in Bernbeuren: Nach sehr nettem Frühstück mit den Herbergseltern geht es zunächst über die schöne Feuersteinschlucht und den Jagdsteig hinauf auf den Auerberg. Es ist anstrengend, aber mir geht es körperlich immer noch sehr gut. Das Wetter ist sonnig und die Sicht auch.

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Der Abstieg bringt mich dann nach Stötten. Ich habe den Verdacht, dass ich den Weg wieder verfehlt habe, gehe statt dessen auf der wenig befahrenen Landstraße weiter, und spare mir dadurch wohl ein wenig Wegstrecke.

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Wieder treffe ich auf ein Schild, das mir das Fernziel meiner Reise anzeigt. 2404 km – so weit bin ich doch noch gar nicht gelaufen?!?

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Der spätere Einlauf in Marktoberdorf erfolgt durch eine wunderschöne Allee mit alten Bäumen. Wie schön mag es hier wohl später im Jahr aussehen?

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Ich laufe dann noch 5 km weiter, da ich ansonsten am morgigen Tag eine zu lange Wegstrecke zu bewältigen habe. Ich übernachte also nicht direkt in Marktoberdorf, sondern in einem „Stadtteil“ Geisenried. Zum ersten Mal nicht privat, sondern in einer Gaststätte, in der ich auch gleich Abendessen kann, bevor ich müde durch die 31 km ins Bett falle.

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23.03.2016: 9:30 Uhr in Geisenried. Die Nacht war wenig erholsam. Der Gasthof wie üblich direkt neben der Kirche, alle 15 Minuten Glockengeläute, die ganze Nacht! Darüber hinaus ist auch noch das Wetter schlecht – Schnee- und Graupelschauer. Trotzdem bin ich voller Zuversicht für den Tag.

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Die verlässt mich aber leider recht schnell. Ich verlaufe mich gleich zu Anfang und kann den verdammten Weg nach Oberthingau nicht finden. Ich bin mittags erst dort, wo ich schon nach einer Stunde sein sollte. Das Wetter bleibt schlecht, genauso wie meine Laune. Da hilft auch so ein nettes Pilgerhäuschen am Wegesrand nicht viel weiter…

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Den Rest vom Weg bekomme ich zwar ganz gut hin, bin aber eine Stunde später als geplant in Kempten (gegen halb sechs) und habe satte 40 km hinter mich gebracht. Jetzt bin ich doppelt froh, dass ich am Vortag noch die 5 km mehr gelaufen bin, sonst hätte ich das wohl heute nicht geschafft. Meine Herbergsmutter hatte sich bereits Sorgen gemacht. Ich wurde aber mit Tee und Käsegebäck empfangen, was ich sehr dankbar annahm. Danke für die Erfindung der heißen Dusche!

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24.03.2016: Am nächsten Morgen gehe ich nochmal kurz nach Kempten Downtown, da ich ja am Vortag so spät erst eingelaufen bin, dass ich kein einziges Foto gemacht habe. Hier also zumindest die Basilika. Und nachdem ich dann auch noch einen Glückscent finde, kann für diesen Tag gar nichts mehr schief gehen.

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So ist es denn auch. Nach den Irrungen des Vortags läuft es am heutigen Tag Richtung Rechtis sehr gut, auch mit dem Wetter. Es liegt zwar ein wenig Schnee, was den Weg gerade zum Ende hin etwas beschwerlich macht, ich komme aber sehr früh nach 25 km in meinem Quartier an, wo mich später ein sehr reichliches Abendessen und ein gemütliches Zimmer erwartet.

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25.03.2016: Ich starte um halb 10 Uhr bei erneutem Schneefall. Ich bin trotzdem guten Mutes und hoffe auf Wetterbesserung auf den kommenden 27 km.

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Wie man sieht, habe ich heute richtig Pech mit dem Wetter. Der Schnee wird schnell zu Nieselregen, die Gegend ist trostlos. Um Mittags beim Essen wenigstens trocken zu sein, verkrieche ich mich in ein Bushäuschen. Keine Menschenseele unterwegs. Die Autofahrer, die mich sehen, werden sich ihren Teil denken. Ich selbst denke mir, ob ich eigentlich bescheuert bin, bei so einem Wetter den ganzen Tag in der Gegend rumzustampfen. Hinzu kommt dann auch noch, dass ich große Teile des Weges in knöcheltiefem Schnee waten muss. Danach sind auch meine Schuhe durchnässt. Und dieses sche… Zell kommt und kommt nicht näher!
Am Ende schaffe ich es dann aber doch noch, sogar relativ früh im Quartier zu sein. Das Wetter hat mir Beine gemacht. Völlig durchnässt von allen Seiten hab ich erstmal ganz lange geduscht und ein Nickerchen gemacht, bevor es zum Abendessen ging und ich dann müde ins Bett gefallen bin.

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26.03.2016: Wie durch ein Wunder geht es mir immer noch ganz hervorragend. Kein Schnupfen, aber auch keine großen Schmerzen oder Blasen. Meine Schuhe sind wirklich klasse und das kleine Gepäck macht sich bezahlt. Da macht das tägliche Waschen der Klamotten wirklich nichts aus. Heute ist es wieder trocken und ich gehe gegen halb 10 Uhr erstmal in die Kirche in Zell, um auf meinen wieder trockenen Pilgerausweis den Stempel zu setzen.

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Der heutige Tag ist das krasse Gegenteil von gestern. Kaum Schnee, tolles Wetter, grandiose Blicke. Zum ersten Mal ohne Mütze. Es geht zwar meist bergauf, was es in der Wärme beschwerlich macht, aber dafür ist der Weg heute nur gut 20 km lang und ich kann mir entsprechend Zeit lassen.

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In Scheidegg beziehe ich dann mein letztes Quartier, gehe zum letzten Mal Abendessen, keine Wäsche mehr waschen, das Ziel vor der Nase. Und der Ort macht seinem Ruf alle Ehre.

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27.03.2016: Die letzte Etappe. Ich starte kurz nach neun Uhr in Scheidegg, die Zeitumstellung habe ich kaum wahrgenommen, da ich eh meist viel früher wach war als notwendig. Bei trockenem, aber stürmischem Wetter starte ich. Heute geht es nur zu anfangs ein wenig bergauf, danach steige ich insgesamt ca. 25 km hinab zum Bodensee.

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Hier habe ich das erste Mal einen kleinen Blick auf den See, zugegeben, sehr klein.

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Meine letzte Mittagspause mache ich in Sigmarszell, ca. 10 km vor dem Ende. Ich gebe ein wenig Gas, da ich um 15 Uhr samt Stempel in Lindau am Bahnhof stehen möchte, bereit für meinen Shuttle.

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Spätestens jetzt weiß ich, dass ich es bald geschafft habe.

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Und hier kann ich das erste Mal jubeln. Obwohl es noch ca. 3,5 km bis zur Insel Lindau sind.

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Ich laufe lange durch Lindau, bis ich letztendlich am Münster Unserer Lieben Frau meinen letzten Stempel ergattere. Ich zünde eine Dankeskerze an. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Hauptbahnhof, wo ich in Empfang genommen werde.

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Schon komisch, wenn man dann in gut einer Stunde mit dem Auto den Weg zurücklegt, für den man vorher 9 Tagesetappen zu Fuß benötigt hat. Ich habe zum ersten Mal eine Vorstellung davon, wie beschwerlich früher das Reisen war. Und wie klein die Welt durch unsere heutigen Transportmittel geworden ist.

Ich bin stolz wie noch nie in meinem Leben. Nicht mal mein Master bedeutet mir so viel wie diese 230 km zu Fuß, ich mit mir allein, bei Wind und Wetter und Schnee. Ist es so gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte? Ich habe tatsächlich viel nachgedacht, einige Entscheidungen getroffen, vieles gedanklich vorbereitet. Aber auch viel gegrübelt und dabei die Achtsamkeit oftmals vergessen. Da wird es wohl noch ein paar Anläufe brauchen.
Aber jetzt erstmal Pause. Der Schweizer Jakobsweg läuft mir nicht davon. Vielleicht im Frühsommer, vielleicht später, vielleicht auch nie. Momentan weiß ich das noch nicht. Aber den Münchner Jakobsweg, den kann mir keiner mehr nehmen!

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